Rechtzeitig vor der Landtagswahl hat Bayern seinen »Skandal«: Der stellvertretende Ministerpräsident und Freie-Wähler-Chef soll als Jugendlicher ein antisemitisches Flugblatt verfaßt haben. Das Machwerk wurde im Zusammenhang mit der Berichterstattung neu verbreitet, und wer das liest, erkennt sofort, daß es sich dabei um einen geschmacklosen und morbiden Schüler-Scherz handelt, der nur so vor pubertären Allmachtsphantasien trieft. Es ist primitiv und dumm, nicht sonderlich lustig – aber eben auch kein politisches Manifest. Das ist eine klassische Jugendsünde, und es ist davon auszugehen, daß sich Hubert Aiwanger seitdem sittlich weiterentwickelt hat. Über 35 Jahre ist es her: Als er das verfaßt haben soll, hieß die Partei »Die Linke« noch SED und hat auf Menschen schießen lassen.
Eine große Klappe hat Aiwanger aber heute immer noch. Vor allem, wenn er auf die AfD schimpft. Nun hat ihn die Moralkeule also selbst getroffen. Viel entlarvender ist es aber, wie der heutige Hubert Aiwanger mit diesem Fehltritt umgeht. Anstatt daß er einfach dazu steht und das entsprechend einordnet, schickt er nun seinen Bruder als Bauernopfer vor. Das ist nicht nur unglaubwürdig, es ist auch erbärmlich und feige. Er will regieren, aber er ist nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. Vor diesem Hintergrund sind seine starken Sprüche gegenüber der AfD scheinheilig.
Er hätte die Chance gehabt, den Skandalisierungsmechanismus zu entlarven. Der politische Gegner mußte ja tief graben, um ihm etwas anzuhängen. Durch seine Reaktion hat er sich aber selbst entlarvt und verspielt damit das, was in der Politik besonders wichtig ist: Vertrauenswürdigkeit.
Dazu kommt: Die Freien Wähler machten sich in ihrer Regierungszeit überflüssig, sie waren kein Korrektiv, sondern lediglich Mehrheitsbeschaffer der CSU. Ihre Programmatik ist bis auf wenige Details die der CSU. Wer wirklich einen Politikwechsel will, der muß AfD wählen. Von Karrieristen kann man einfach nicht das dazu notwendige Stehvermögen erwarten.