80 Jahre Kriegsende – ein deutscher Standpunkt
Das Bild, das diesen Text illustriert, zeigt nicht Hiroshima nach dem Atombombenabwurf, sondern das kriegszerstörte Königsberg in den 1950er Jahren. Ausgeräumte Fläche, wenige Ruinen – die Altstadt, das prachtvolle Zeugnis der Formliebe und des Fleißes vieler ostpreußischer Generationen, ist ausradiert, ihre deutschen Bewohner sind vertrieben oder tot.
Ostpreußen ist für mich ein geistiger Erinnerungsort. Ein Teil meiner Familie stammt von dort. Mein Großvater erzählte mir vom Aufbau seines Betriebes, vom ersten Motorrad des Dorfes, das er fuhr und von der Jagd, dann vom Krieg, den er als Soldat verwundet überlebte. Von meiner Großmutter hörte ich von Flucht und Vertreibung, von der Verzweiflung, von Tod und Grauen und vom Überleben. Meine Urgroßeltern waren in Königsberg geblieben. Sie wollten die Heimat nicht verlassen und verhungerten dort 1946. In vielen Familien wird an ähnliche Schicksale erinnert. Über zwei Millionen Ostdeutsche kamen am Ende des Zweiten Weltkrieges und noch weit nach dem 8. Mai 1945 ums Leben. Wir dürfen trauern – um das menschliche Leid und den Untergang eines Teils unserer Kultur. Ostdeutschland starb 1945.
Sind wir Deutsche 1945 besiegt oder befreit worden? Die Antwort auf diese Frage ist angesichts unserer Lage nicht mehr wichtig. Sie ändert nichts mehr. Deutschland spielt längst wieder mit dem Feuer und läßt sich gegen eine Atommacht in Stellung bringen. Das ist das eine. Das andere ist: Unsere eigene Kinderlosigkeit und die millionenfache kulturfremde Zuwanderung stellen die Substanz unseres Volkes in Frage. Wie lange werden wir noch Herr in unserem eigenen Land sein?
Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Jeder historisch gebildete, patriotisch gestimmte und über Legislaturen hinausdenkende deutsche Politiker muß eine andere Politik wollen. Er muß um den Erhalt des Friedens und einen Ausgleich mit Rußland ringen. Er darf keine DDR- und keine BRD-Nostalgie akzeptieren, darf weder in Ost- noch in Westbindung aufgehen und darf sich vor allem nicht an der Folklore der Sieger von 1945 beteiligen. Auch sie ist etwas Gestriges.
Wir wollen einen Neuanfang. Es geht um die Formulierung und Umsetzung eines entschieden deutschen Standpunkts. Er findet sich jenseits deutschen Größenwahns und deutscher Unterwürfigkeit. Er ist selbstbewußt und maßvoll. Er ist wie unsere Lage: mitten in Europa, vermittelnd, eine Brücke.
Das ist unsere Aufgabe: »An der Stelle, wo wir stehen, haben wir nichts anderes zu tun als Wunden zu heilen, Glieder zu schienen, Zerstreutes zu sammeln, Zerrissenes herzustellen, unser Volk zu restaurieren.« Das notierte der Schriftsteller Rudolf Borchert 1927. Und es gilt heute wieder.
Ist unser Beitrag zur Weltgeschichte abgeschlossen oder gibt es noch einen deutschen Standpunkt? Jahre der Entscheidung liegen vor uns.