Bonhoeffer und der Begriff der Scham

»Ohne Scham verlieren wir auch die Fähigkeit zu erkennen, wo unsere Rechte enden und die des anderen beginnen. Eine Gesellschaft ohne Scham wird nicht freier: sie wird grausamer, oberflächlicher und destruktiver. Eine Gesellschaft, in der alles erlaubt ist, erzeugt nicht mehr Glück, sondern mehr Angst und erstickende Leere. Eine schamlose Gesellschaft steht kurz vor dem Zerfall.«

Das schrieb der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer als Reaktion auf die Veränderung der Gesellschaft während des Nationalsozialismus. Denn Scham empfinden zu können, bewahrt den Menschen vor Barbarei und letztlich vor dem Verlust der Selbstachtung.

»Sich schämen«: Diesen Ausdruck empfinden heute viele – vor allem jüngere Menschen – als etwas »Angestaubtes« oder gänzlich Unnötiges. Damit tappen sie oft in eine Falle der Scheinfreiheit: Sie glauben, selbst Intimstes in der Öffentlichkeit auszuleben, für nichts Verantwortung übernehmen zu müssen und keine Pflichten der Gemeinschaft gegenüber zu haben, mache sie frei. Was auf den ersten Blick sehr bequem erscheint, kostet uns letztlich einen hohen Preis. Der gesellschaftliche Zusammenhalt schwindet, kurze Aufmerksamkeit mit vielen »Likes« in den sozialen Medien ersetzt die Zufriedenheit über etwas mit Geschick und Verstand Selbstgeschaffenes. In diversen schrillen Fernsehformaten setzen sich Menschen dem Gespött der Zuschauer aus und verwechseln es mit Beliebtheit. Bloßstellung des anderen ist zur gesellschaftlichen Mode geworden – Empathie für den Bloßgestellten und sein Umfeld sucht man vergeblich. Doch, so Bonhoeffer, wo keine Scham ist, da ist auch kein Stolz: Der berechtigte Stolz nämlich, auf das, was man selbst, seine Gemeinschaft und sein Land durch Mitgefühl, Leistung und Respekt hervorgebracht hat.

In asiatischen Ländern wie Japan kennt man diese Grundregel noch: »Dem anderen das Gesicht zu wahren«. Dem liegt der Respekt vor den Grenzen der Mitmenschen zugrunde. Das Beschämen des anderen ist ein Tabu, das funktioniert, weil darüber breiter Konsens besteht. Im Privaten ist jeder frei, das auszuleben, was er für seine Bedürfnisse als wichtig erachtet. Man geht achtsam mit dem öffentlichen Raum um, ehrt seine Traditionen und drängt dem Nachbarn seine Sicht der Dinge nicht derart penetrant auf, wie es die Ideologen des Westens tun.

Wahre Freiheit ist Freiheit des Denkens, die eng an eigene Verantwortung gekoppelt ist. Schamgefühl wiederum ist untrennbar mit dieser Verantwortung verbunden. Nicht jenes Schamgefühl, das sich an politischen Moden orientiert, sondern jenes, das aus Empathie entsteht. Daraus entsteht ein unverzichtbarer ethischer Kompaß, der uns – wie es Bonhoeffer in seinen Schriften angemahnt hat – vor dem Niedergang unseres Landes und unserer Gemeinschaft bewahrt.

Björn Höcke Portrait

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