Dreifachimpfung gegen den Zeitgeist

Tatsächlich stehen sie alle in meinem Bücherregal, die nunmehr 84 bunten Bändchen der Kaplaken-Reihe aus dem Verlag Antaios. Und mit genau einer Ausnahme habe ich sie auch alle gelesen, bevor ich sie einsortierte. Selten bin ich vom Inhalt enttäuscht worden, fast immer gelang es dem Autor eine Perspektive auf einen Gegenstand zu entwickeln, die mich nachdenklich machte, manchmal auch meinen Widerspruch kultivierte, mir aber so oder so Impulse für meine politische Arbeit lieferte. Gut, meistens waren oder sind diese Impulse auf der Metaebene angesiedelt, aber die Oberflächlichkeit der Tagespolitik kann sowie nicht das Hauptspielfeld eines dissidenten Politikers sein.
Die neue Kaplaken-Trilogie gefällt mir wieder ganz besonders gut.

Heino Bosselmann, dem die staatlichen Aufsichtsbehörden nach dreißig Jahren erfolgreicher Lehrertätigkeit nunmehr ein faktisches Berufsverbot auferlegt haben, hat mit »Alterndes Land« Kaplake 82 beigesteuert. In zehn unabhängigen Kapiteln verwirbelt er seine Biographie als 1964 in der DDR Geborener mit historischen Entwicklungen, Brüchen und der gegenwärtigen politischen Lage. Die Vorzüge der Prignitz, seiner Heimat, werden ebenso beschrieben, wie das, was seit seiner unbeschwerten Kindheit unwiederbringlich verloren ging. Besonders deutlich kann man diese Verlustgeschichte im Kapitel »Platte« nachempfinden. Bosselmann ist ein überzeugter Plattenbewohner. Bei der Beschreibung einer Schweriner Plattenbaugegend mußte ich immer wieder an meine Schwiegereltern denken, die ebenfalls bis zu ihrem Rückbau vor einigen Jahren, durchaus mit Überzeugung Jahrzehnte in einer Cottbusser Platte lebten. Die alten Hausgemeinschaften gibt es kaum noch, weder in Schwerin noch in Cottbus. Neue migrantische Bevölkerungsgruppen haben von der alten DDR-Bausubstanz Besitz ergriffen und beginnen sie zu dominieren. Der Autor beschreibt diesen Prozeß ohne Wehmut, mehr als logische Folge des Sieges einer starken Identität über eine gebrochene. Besonders plastisch sind die Abschnitte, in die der Autor seine Berufspraxis als Lehrer einfließen lassen kann. Die »Verweiblichung unseres Bildungswesens« wird genauso in den kritischen Blick genommen, wie das Absenken des Anspruchs und damit einhergehend das Absinken des Bildungsniveaus an vielen Beispielen festgemacht wird.

Hier gibt es dann deutliche Überschneidungen zur »Depressiven Hedonie« von Lorenz Bien. Deswegen sollten Sie diese Kaplake als zweites lesen, auch wenn ihre Nummerierung (84) etwas anderes vorzugeben scheint. Als junger Germanist und Philosoph (Jg. 1991) beschäftigt sich der Autor mit den Auswirkungen der neuen Alltäglichkeit elektronischer Medien auf menschliche Psyche und moderne Gesellschaftsstrukturen. Ausgehend von der Entlastungsfunktionen der Institutionen, wie sie von Arnold Gehlen beschrieben worden sind, nimmt er kritisch die Entwicklungen der Gegenwart in den Blick. So ist seine Beobachtung, daß die völlige Formoffenheit zu einer Überlastung führt, weil alles permanent fließt. Die Krise der entlastenden Institution nimmt dabei ihren Ausgang in der Krise der Familie, die eigentlich Urvertrauen aufbauen und Verläßlichkeit bieten soll. Aber die »Urinstitution Familie«, die Bindungs- und Gemeinschaftsfähigkeit sichert, ist dysfunktional geworden oder kommt gar nicht mehr zustande. Die schlechte Entwicklung vom Gemeinsamen zum Einsamen wird durch die überbordende Mediennutzung katalysiert. Technische Geräte sind nämlich heute über den Algorithmus auf die Erzeugung technischer Ich-Schleifen ausgelegt. Jeder lebt in seiner eigenen Matrix!
Der Autor resümiert: »Am Ende stehen junge Menschen mit gebrochenen Identitäten, denen es zunehmend schwerfällt, feste Bindungen mit ihren Mitmenschen einzugehen, die zwanghaft sinnlichen Genüssen nachjagen, um gegen eine innere Leere anzukämpfen. Mit einem Wort: Menschen die depressiv-hedonistisch sind!« (S.50)

Daß mit hedonistisch-depressiven Menschen nur schwer Institutionen zu pflegen sind, geschweige denn eine freie Bürgergesellschaft gelebt werden kann, liegt auf der Hand.

Kaplake Nr. 83 ist eine echte Ansage für das dissidente volksoppositionelle Lager und wird sicher die strategische Diskussion in selbigem befeuern. Simon Kießling ist Jahrgang 1971 und von Hause aus Historiker, Philosoph und Übersetzer.
Eingangs weist er darauf hin, daß der Siegeszug der Linken nicht auf deren professionellerer Strategie oder Kommunikation beruht: »Die politische und metapolitische Erfolgsgeschichte der Linken geht vielmehr darauf zurück, daß sie sich im Einklang mit einer fundamentalen Bewegungstendenz der modernen abendländischen Geschichte befindet, die illusionslos anzuerkennen unumgänglich ist, um neue erfolgsversprechende Wege konservativen/rechten Denkens und Handelns überhaupt freizulegen.« (S.16)
Die Alterung des Menschen sei genauso wie die Alterung von Völkern nicht zu revidieren.
Aus Völkern, die Subjekte der Geschichte sind, werden Bevölkerungen, also duldende Objekte staatlicher Versorgung, Unterhaltung, Steuerung und Reglementierung. Unter Bezugnahme auf geschichtsmorphologische Annahmen wird in diesem Teil an das Schicksal welthistorisch bedeutender Großreiche in China und Südamerika erinnert. Auch die Transformation des Römischen Reiches scheint diesen quasi naturgesetzlichen Prozeß zu belegen, wurde die Republik doch von einem kulturell homogenen Volk getragen, während die Kaiserzeit von einer multikulturellen Gesellschaft geprägt war, die nur mit immer mehr Brot und Spielen zusammengehalten werden konnte.
Kießling macht deutlich, daß jede Form der Revitalisierung vergangener Kraft für ihn ein aussichtsloses Unterfangen darstellt. Das gilt nach Meinung des Autors für das Konzept des libertären Markus Krall, der in seinen Reden eine bürgerliche Revolution der Leistungseliten einfordert genauso wie für die ältere Reconquista-Strategie von Martin Sellner. Er führt aus: »Gegen die Mühlen der ethnokulturellen Desintegration, den mit naturgesetzlicher Notwendigkeit erfolgenden Rückbau und Verfall der autochthonen Bevölkerung existiert kein Mittel.« (S.37)
Auch David Engels christlich gegründete kulturelle Einigelung wird als Unmöglichkeit verworfen.
Trotzdem liefert Simon Kießling am Ende das, was Not tut, und was konservativen Denkern oft fehlt, eine Vision. Die etwa 1000 Jahre Bestand habende Republik Venedig, die römisch-germanischen Geist amalgamierend, etwas Neues schuf, könnte hier als Vorbild dienen. Daß das »neue Volk« u.a auch mit dem guten Geist des alten Abendlandes seinen Lebensgang beginnen soll, steht dabei für Simon Kießling außer Frage.

Dreifachimpfung gegen den Zeitgeist
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